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Hell On Earth Tour - Hamburg, Markthalle - 07.10.2010
Zu einer abendfüllenden Tour zu gehen, wenn man nur eine der sieben spielenden Bands kennt und gewisse Vorbehalte gegen kurzhaarige durchtrainierte Karate-Kids hat, ist schon ein Wagnis, aber „Wormwood“, das aktuelle ACACIA STRAIN-Werk ist dermaßen nihilistisch und vernichtend, dass ich mich frohgemutes auf den Weg in die Bronx, ähm, sorry, die Hamburger Markthalle machte, um der diesjährigen HELL ON EARTH-Tour beizuwohnen.
18:30 ist erstens ungewohnt früh und zweitens gewohnt undankbar für den Opener, der vor knapp 50 sich im großen Rund etwas verlierenden Gestalten aber unbekümmert loslegte. VERA CRUZ aus Paris waren die einzigen Europäer im Tour-Package und VERA CRUZ sind sehr fleißig, obwohl es erst eine EP käuflich zu erwerben gibt. Nach einer US-Tour im Sommer jetzt die Hölle auf Erden und im Dezember die „Persistance“-Tour, volles Programm also und berücksichtigt man das Naturgesetz, dass Franzosen keine Musik machen können, ist der Vierer sogar ausgesprochen ansprechend, moderner Hardcore mit allen Zutaten von Breakdowns bis Moshparts und einem etwas kreischigem Sänger. „Energie“ ist ja ein Hauptpunkt im Hardcore und da hat das überaus agil agierende Quartett eine Menge zu bieten und wird letztendlich mit einem 5-Personen Circle Pit belohnt.
Wie sich noch im Laufe des Abends zeigen wird, sind die Umbaupausen recht lang, was bei sieben Bands schon auf die Dauer nerven kann, zweite Band des frühen Abends sind THICK AS BLOOD, eigentlich ein Fünfer aus Miama, eine „stolze“ Hardcoreband, wie die Band selbst auf ihrer Page schreibt. Wenn ich mich mal kurz unbeliebt machen darf, ist moderner Hardcore nüchtern betrachtet nichts anderes als simpler groovender Metal mit möglicherweise intelligenterem Hintergrund, wobei das ganze Brother-Liar-Backstabber-Stronger-Ding nicht meines ist, aber wer Freu(n)de dran, bitte. In Anbetracht der Tatsache, dass Sänger Gino seinen Pass verloren hat und deshalb nicht nach Europa reisen durfte, übernahm einer der Gitarristen den Gesang für die lediglich 5 dargebotenen Songs, schlecht macht er seinen Job nicht, aber wirklich weltbewegend waren THICK AS BLOOD auch nicht. Nächste Chance nach dem Besuch beim Pass-Amt.
Die nächste Pause, die ungefähr so lang wie das folgende Set war, lässt immerhin die Erkenntnis zu, dass Krombacher alkoholfrei wie eine Mischung aus Malzbier und wahrscheinlich Pferdepisse schmeckt, bevor DOWN TO NOTHING loslegen. Zumindest ein Gitarrist und der Drummer sind was Nahrung angeht weit von Nichts entfernt und passen nicht so ganz in das Muskelmänner mit Kurzhaarfrisur und 3-Tage-Bart-Schema der meisten Anwesenden und Musiker. Da der Sänger auch Bassist von TERROR ist, liegt es nahe, dass DOWN TO NOTHING im Billing vertreten sind, musikalisch geht es grob in dieselbe Schiene, relativ simpel gehaltene Songs, heavy und groovy, beeindruckend ist vor allem Drummer Rashod, der sonst bei TRASH TALK die Felle malträtiert und ausgesprochen lässig und präzise zu Werke geht. Nach anfänglich etwas lahmen Start gewinnt die Band im Laufe des kurzen Sets ordentlich an Druck und Fahrt und weiß gegen Ende durchaus den einen oder anderen Tänzer zum Schattenboxen zu animieren.
Wie eingangs erwähnt war der eigentliche Grund meines Kommens ACACIA STRAIN aus Massachusetts, deren Vernichtungsschlag „Wormwood“ in jeden Haushalt potentieller Serienkiller gehört. Und irgendwie wollten sie gar nicht so richtig zu den vorangehenden Bands passen, auf einmal war vorbei mit „Bruder“ und „allen Bösen auf die Fresse“, auf einmal war totale Vernichtung bis auf Molekularebene angesagt. „We all come from broken homes, broken hearts and broken bones“ eröffnen nicht nur „Wormwood“, sondern auch den Gig, der zeigte, dass ACACIA STRAIN auch live ein Erlebnis sind. Frontmann Vincent Bennett ist ein geschätzter 2-Meter-Bär, der einem im Käfig lauerndem Tiger gleich über die Bühne tobt und seinem Hass auf die Menschheit unbekümmert freien Lauf lässt. Beeindruckend auch die Band als Gesamtgefüge, die es schafft dem komplexen Stakkato-Riffing Druck und Leben einzuhauchen und in den wenigen schnelleren und geraden Passagen ordentlich abgeht. Schon nach 3 Songs lässt Bennett sich vom gesamten Publikum den Mittelfinger entgegenstrecken und brüllt ein dreifaches „Fuck The World“ heraus. Mit einer paritätischen Mischung aus alten Songs und aktuellem Stoff wütet sich der Vierer durchs Programm und das Statement „There is no place for christianity in hardcoremetal“ spricht mir aus der Seele und wird recht pikant, wenn man die älteren Ausgaben der HELL ON EARTH-Tour ansieht, auf der schon die Christenspacken AS I LAY DYING gespielt haben. Glücklicherweise endet das Set mit Jonestown und meiner momentanen Lieblingstextzeile: „I hate everything you love.“ Große Wut, große Band, großer Spaß.
Next Up: ALL SHALL PERISH. Beim Betreten der Bühne macht sich meinerseits Entsetzten breit, Bassist mit Sechssaiter auf Oberbauchhöhe bedeutet gewöhnlich Ungemach durch Gefrickel, Selbstdarstellung und Nerv. Und das pausenlose Fingertapping auf allen Saiteninstrumenten schon im Opener zu einer Mischung aus Growls und Pig-Squeals mag zwar dem einen oder anderen gefallen, gibt meiner Vorahnung aber recht und lässt mich nach drei Songs als Nichtraucher lieber im Raucher-Kabinett platz nehmen und eine weitere Einheit Pferdepisse verköstigen. Definitiv nicht mein Fall.
EVERYTIME I DIE sind mir nur dem Namen nach bekannt, stellen sich aber als die positive Überraschung des Abends heraus. Angesichts des Namens erwartete ich mal wieder todernste Szenekritik und Feiern der Bruderschaft, aber der sehr agile Haufen brettert sich gekonnt und mit ordentlich Schmackes durch eine Anzahl feiner Songs, die die perfekte Schittmenge zwischen Rock 'n' Roll und Hardcore darstellte. Recht abwechslungsreich und mit gehöriger Punkattitüde knallt der klassisch besetzte Fünfer einen Haufen durchaus melodiöser Songs ins Publikum, das dankbar abgeht und wild kämpft und zirkuliert. EVERYTIME I DIE sind mit Sicherheit die Band, die den Spirit von Old School-Hardcore an diesem Abend am ehesten transportierte.
Und das tun auch TERROR, die „Keepers Of The Faith“ ganz groß auf ihre Fahne geschrieben haben. Terror erinnern mich als Phänomen immer an BIOHAZARD in den Neunzigern. Jeder ernstzunehmende Musiker und denkende Mensch hasste sie wegen im Grunde nichtssagender Songs und inhaltlichen Plattitüden, was aber nichts an der Tatsache änderte, dass auf den Gigs der Teufel los war und BIOHAZARD in meiner Heimatstadt Kiel den größten Moshpit aller Zeiten fabrizierten. So ähnlich verhält es sich mit TERROR, die zumindest bei Betrachtung der Zuschauer und ihrer Uniformen ganz klar ganz vorne in der Gunst rangieren. Und das durchaus zu Recht, wie schon nach den ersten Tönen klar wird. Die Band ist tight, druckvoll und überfordert sicher niemanden durch musikalische Kabinettstückchen, aber sie tritt Arsch und hat Ausstrahlung, was nicht zuletzt am charismatischen Frontmann Scott Vogel liegt, der es schafft, das gesamte Publikum an und auf die Bühne zu dirigieren, diverse Nachwuchstalente zum Mitbrüllen animiert und auch mal das Mikro ganz im feiernden Volk kreisen lässt ohne die Mine zu verziehen. Der Mann ist unbestreitbar ein guter Unterhalter und macht sicher einen Großteil der Publikumsnähe aus, in der sich die Band trotz höherem Bekanntheitsgrad noch immer bewegt. Cooler Gig, aber nach 5 Stunden Dauerbeschallung war es dann doch Zeit, die Segel zu streichen. Vielleicht tun es auf der nächsten HELL ON EARTH-Tour auch fünf Bands?
Regards Dr. O.
Danke für die Fotos an Friederieke P.